Ombra - von Hanns Josef Ortheil

Eitle Kunst

Wie geht es einem Menschen, der durch eine Krankheit plötzlich in eine ihm vollkommen unbekannte Welt geworfen wird? Zuerst versucht er, dieser neuen Welt mit seinen gewohnten Regeln und Bewertungen zu begegnen. Und genauso macht es auch der Protagonist in „Ombra“.

Hanns-Josef Ortheil gebührt höchster Respekt dafür, dass er seine persönliche Entwicklung mit uns teilt, welche er nach einer bedrohlichen Herzerkrankung durchlebt hat.

Mir erschien „Ombra“ wie ein treffendes Portrait eines unerwartet, von seiner Krankheit ausgeknockten Künstlers und Intellektuellen, der, mit einer ausgeprägten, als Bescheidenheit getarnten Eitelkeit, seine Reha in einer ambulanten Klinik antritt.

Er begegnet dort einem Alltag, der ihm ganz und gar fremd ist und den er, aus einer beobachtenden und ein wenig überheblichen Position heraus, beschreibt.

Und dann ist da die immer wiederkehrende Betonung seiner Berühmtheit. Anscheinend kennen ihn alle Ärzte, Therapeuten und Mitpatienten, denen er in der Klinik begegnet und haben auch schon Bücher von ihm gelesen. Generös verspricht er einigen von ihnen eins seiner Werke, so als würde er nichts anderes erwarten, als dass die Empfänger auf eine solche Gunst gehofft hatten.

Eigentlich versucht der Protagonist, seine Rolle als vielgelobter Autor und Künstler stumpf weiter aufrechtzuerhalten, obwohl er, durch seine Krankheit bedingt, unfähig ist zu schreiben oder seinen beruflichen Verpflichtungen nachzugehen.

Als demonstrativer Außenseiter kultiviert er – vollkommen überfordert mit jeder Art gesunder Selbstfürsorge – erst sein Nicht-Können genüsslich als Sonderrolle und feiert dann jeden kleinsten seiner Fortschritte wie einen Geniestreich. Er verweigert sich mit diebischer Freude den - aus seiner Sicht - für ihn unpassenden Therapieangeboten und lässt sich schließlich nur auf einer höchst intellektuellen Ebene auf die Arbeit seiner Psychotherapeutin ein.

Schließlich begibt er sich aus seinem Leidensdruck heraus auf den mühsamen Weg der Erforschung seiner Vergangenheit, seiner Fähigkeiten und der Gründe für seine Krankheit. Aber auch dabei klingt diese Selbstbeweihräucherung mit, die das Mitgefühl des Lesers in sehr bescheidenen Grenzen hält.

Alles in allem habe ich eine ausgefeilte Sprache, originelle Dialoge und immer mal wieder sehr kurzweilige Passagen gelesen. So ganz hat mich „Ombra“ aber nicht erreicht, denn dazu hält der Autor seine Leser zu sehr auf Distanz.

Aber womöglich wollte er das ja genau so. In dem Fall wäre es brillant – wenn man sowas mag.

Hanns Josef Ortheil
Ombra
ISBN 978-3630876610
Luchterhand Literaturverlag 2021