Tag 6 – Marlene geht spazieren

Gestern Abend hatte ich zum ersten Mal seit der Zugfahrt nach Ahrenshoop die Muße, ein Buch zu lesen. Ich habe mir „Rebecca, Roswitha und die wilden Siebziger“ mitgenommen. Super! Amüsant, gut geschrieben und die Zeit getroffen (soweit ich das beurteilen kann - da war ich ja noch klein). Beste Unterhaltung.

Heute ist wieder strahlendes Wetter. Gar nicht so einfach, bei der ersten richtig warmen Sonne in diesem Jahr, am Schreibtisch zu bleiben. Aber wenigstens konnte ich die Tür offen stehen lassen. Das war auch schon sehr viel Sommergefühl.

Das vierte Kapitel stand an. Marlene. Ich konnte mich – unterstützt von Kaffee und Nachdenken in der Sonne - mit ihr anfreunden und ihr eine passende Vergangenheit andichten. Trotzdem bin ich zum ersten Mal auf dieser Reise nicht so zufrieden mit meinem Tagwerk. 

Ich glaube, das hat einen guten, im Sinne von schönem, Grund: Hier ist das Schreibleben anders. Der Tag fing um neun mit einem Frühstück zu elft in Annes Küche an. Nette Menschen, gutes Essen, freundliches Plaudern. 

Ich musste heute auch irgendwie zu einem Laden zum Einkaufen kommen, denn abgesehen vom Frühstück versorge ich mich hier selber. Die Verabredung zu einer Fahrt nach Velgast zum dortigen Supermarkt stand dann für 18 Uhr. 

Also spät mit dem Schreiben anfangen und abends etwas eher aufhören, dafür vor dem Frühstück schon Schreibzeit. Alles anders als meine Isolationsroutine am Ostseestrand.

Als ich Marlene kurz vor dem Mittag eine Kindheit verpasst hatte, ging es nicht mehr anders: Ich musste raus in die Sonne. Aber wohin? Einfach mal losgehen. 

Ich spazierte durch ein winziges Kopfsteinpflaster-Dorf mit alten Häusern und dann über diese DDR-Plattenwege, die mich an meine Harz- und Rügenwanderungen erinnern. Lange lief ich zwischen gigantischen Monokulturen von Raps und Getreide hindurch, bis es Zeit war umzukehren. 


Am Nachmittag wurde es ein bisschen brisant in der Villa. Katja begegnet einer Muslima in einer Notsituation und dann kommt ein zweiter anonymer Brief an. Jetzt nimmt die Geschichte richtig Fahrt auf und ich jongliere mit den vielen angerissenen Handlungsfäden. 

Ich stelle fest, dass ich an schwierigen Stellen besser denken kann, wenn ich mich dafür in die Sonne setze. Aber wie gesagt, so richtig zufrieden bin ich mit Marlenes Kapitel nicht. Es ist zu schnell erzählt, ein bisschen unkonzentriert. Aber ich vertraue meinen Fähigkeiten und hoffe, dass gerade dieses Kapitel in der Nacharbeit zu einem der Besten wird. 

Um kurz vor sechs schlendere ich zum Wohnhaus und warte auf meine Einkaufsverabredung. Eine nette Frau spricht mich an. Sie ist gerade erst zu einem Kurs angekommen, kennt noch niemanden und hat eine lange, anstrengende Fahrt hinter sich. Wir gehen plaudernd ein bisschen den Weg auf und ab. 

Einkaufen fahre ich wieder mit jemand anderem. Wir kennen uns nicht, aber das ist egal. Im Auto ein angeregtes Gespräch über Parfümöle und das (Berufs-)Leben im Allgemeinen und Speziellen.

Während ich mir später bei offener Tür und untergehender Sonne Tomaten mit Schafskäse schmore, schaut noch einmal die Frau von vorhin herein.

Das ist hier ein bisschen Bullerbü. Ich genieße es, werde lockerer. Mal sehen, wie sich das morgen auf meine Schreib-Challenge auswirkt.