Fisch in Essig

von Claudia Grothus

Donnerstags macht Omma Fisch. Immer. Wieso eigentlich nicht freitags? Egal. Ich bin noch klein. Kindergarten oder so. Mama hat eine Fischallergie. Das heißt, eigentlich ekelt sie sich nur vor Fisch. Krank wird sie davon nicht. Aber sie findet schon den Geruch so widerlich, dass uns kein Vieh aus dem Wasser ins Haus kommt. Wenn wir Fisch wollen, müssen wir zu Omma fahren. Und zwar donnerstags.

Die Fisch-Omma ist Papas Mutter. Da sind wir gerne. Nicht weil sie so nett ist – ist sie nicht. Sie jammert dauernd, nörgelt ununterbrochen am Oppa rum und himmelt Rex Gildo an. Aber bei Omma gibt es sonntags Bobbes (das sind knallharte Teilchen von dem Bäcker unten im Haus mit gigantischen Streuseln obendrauf), einmal im Monat ein Fünfmarkstück für jeden, manchmal Sauerbraten, der immer angebrannt ist, aber wahrscheinlich deshalb so gut schmeckt - und eben donnerstags Fisch.

Anscheinend muss man für Fisch groß genug sein, denn Omma fragt mich jeden Donnerstag, ob ich was anderes will. Besonders wenn der Fisch in Essig eingelegt ist – Rollmops oder Brathering. Bei Essigfisch bekomme ich Eier im Glas. Auch wenn ich die Omma eigentlich nicht leiden kann, macht sie die allerallerbesten gekochten Eier. Das Weiße hart, das Gelbe flüssig und dann warm im Glas verrührt mit Salz. Ich liebe diese Eier so sehr, dass ich auch manchmal Fisch ohne Essig dafür stehenlasse.

Eigentlich esse ich nur Backfisch gerne. Oder gebratene Scholle mit Mayonnaise. Also alles mit Paniermehl drumrum und ohne Gräten.

Bei Omma ist es auch nie langweilig. Sie bewahrt mir immer die Papptabletts vom Kuchen auf, damit ich drauf malen kann. Dann haben meine Bilder direkt so einen schönen Rahmen. Ich male um die Fettflecken herum. Omma hat auch so einen spannenden Tischkorb aus goldenem Draht. Der sieht aus wie eine Königskrone, weshalb ich ihn immer aufsetzen will, was ich aber nicht darf. Denn das ist so ein Trick-Korb. Wenn man ihn leer macht und die Griff-Bügel zur Seite klappt, dann fällt der ganze Korb zu einer flachen Drahtschicht zusammen. Mein Bruder und ich klappen die Bügel besonders gerne auseinander, wenn der Korb voll ist. Klapp - und alles fällt raus: Streichholzschachtel, Kopierstift (Was zur Hölle ist ein Kopierstift? Weiß ich bis heute nicht.), Riechstift (Sieht aus wie ein Lippenstift aus Plastik mit einem Loch oben drin. Daraus riecht es toll nach Hustenbonbon. Mein Bruder und ich schieben uns das Ding immer fast bis ins Gehirn), Lesebrille, Gummibänder, Kupfermünzen und aller möglicher anderer Krempel.

Wenn wir den vollen Korb zusammenklappen, ist Omma immer total genervt und jammert mit ihrer weinerlichen Stimme "Och neeeeeee!“.

Ich verziehe mich dann, unter dem Vorwand, Pipi zu müssen, ins Badezimmer. Da hat die Omma so breite Metallklammern für die Wellen in ihren grauen Haaren. Mit den Klammern kann man super Krokodil spielen. Die haben richtige spitze Zähne. Ich klemme sie mir ins Gesicht, an Stirn, Kinn und Wangen, steige auf den Hocker und gucke in den Spiegel. Es prickelt eine Weile, bis es weh tut und dann sind lustige rote Punkte in der Haut. Wie Seeräubernarben.

Dann schnuppere ich an Oppas Speick-Seife. Die rieche ich gerne. Auch die kostbare runde Seife von Omma in der schönen schwarzen Schachtel duftet toll. Wir dürfen sie nicht aus dem Seidenpapier nehmen, denn die ist ganz teuer. Die hat Tante Uschi mal aus Spanien mitgebracht.

Vor dem Spiegel stehen lauter Fläschchen. Auch welche vom Oppa. Auf einem steht – ich kann schon ein bisschen lesen – A f t e r s h a v e. Was ist das denn? After ist doch das Po-Loch! Wahrscheinlich Medizin für hinten unten. Alte Leute haben ja lauter eklige Krankheiten an fiesen Stellen. Omma hat zum Beispiel viele dünne, lilafarbene Adern an den Beinen und Oppa so ganz dicke gelbe Zehennägel. Sie haben künstliche Gebisse und tragen Brillen. Wobei ich nie verstehe, warum sie zum Essen die Zähne rausnehmen und zum Fernsehen die Brille absetzen. Jedenfalls lasse ich die After-Flasche stehen und rieche lieber nicht daran.

Das Badezimmer wird langweilig. Ich ziehe pro forma an der Klospülung mit der Kette. Das Wasser rauscht laut aus dem Behälter an der Decke. Ich hätte zuhause auch gerne so eine Kette zum Abziehen, aber wir haben nur so einen silbernen Drücker der Aussieht wie eine Nase in einem langen Gesicht.

Vom Bad gehe ich in die Küche. Die anderen sitzen im Wohnzimmer um den Esstisch. Ich habe die Küche für mich alleine. Da steht die dunkelgrüne Kanne. In der ist immer kalter Kaffee vom Frühstück für Oppa. Er trinkt ihn immer so, dass er die Tülle in den Mund nimmt und sich den Kaffee direkt aus der Kanne reinschüttet. Wenn Omma das sieht, dann schimpft sie mit ihrer hohen Jammerstimme „Och Kurt!“. Kurt lacht dann. Und wenn er schlechte Laune hat, dann sagt er: „Ach sei doch still!“.

Ich nehme die grüne Kanne und trinke kalten Kaffee direkt aus der Tülle. Schmeckt bitter, macht aber Spaß. Die Küche ist ansonsten langweilig. Ich schlendere zurück ins warme Wohnzimmer. Zentralheizung gibt es hier nicht, aber einen Kohleofen. Der komische und konische Blecheimer, der daneben steht, heißt „Schütte“ und ich darf ihn nicht anfassen, weil ich mich dann mit Kohlenstaub einsaue. Einmal am Tag muss Oppa mit der Schütte in den Keller und Kohlen raufholen.

Oppa ist viel netter als Omma. Wenn wir mit ihm am Büdchen sind, dürfen wir uns immer ein teures Eis aussuchen. Nogger oder Cornetto. Aber nur, wenn wir der Omma nicht sagen, dass Oppa sich einen Flachmann gekauft hat. Die Omma schickt uns nämlich immer extra mit dem Oppa los zum Büdchen und fragt hinterher, was er gekauft hat. „Tabak und Eis für uns“ sagen wir dann scheinheilig und der Oppa zwinkert uns zu.

Oppa raucht Selbstgedrehte und hat ein Zigarettenetui, das ist innen golden mit Gummibändern. Er breitet eine Zeitung als Unterlage vor sich aus und dreht sich zwölf Kippen, die er in das Etui steckt. Wenn er raucht, dann spuckt er immer die Tabakfäden aus, die aus den offenen Enden der Selbstgedrehten hängen. Dieses leise, trockene Spucken ist ein typisches Oppa-Geräusch.

Er spielt mit meinem Bruder Poker und lacht sich kaputt vor Freude, wenn er gegen den Achtjährigen gewinnt. Wenn im Fernsehen die Lottozahlen kommen, dann flucht und schimpft er, das wäre doch alles Betrug, solche Zahlen könnten doch kein Zufall sein. Er spielt jede Woche Lotto und schwärmt uns immer wieder davon vor, was er uns alles kaufen wird, wenn er gewinnt. Ein Haus und ein Fahrrad „mit allen Schikanen“.

Manchmal geht Oppa sonntags mit mir spazieren. Er hat schwarze Schuhe, die auf Hochglanz poliert sind. Sonntags müssen Schuhe immer ganz sauber sein. Er nimmt mich an seine große, warme Hand und wir spazieren zum Friedhof. Da zeigt er mir, welche seiner Kumpels alle schon tot sind. Wenn er einen kennt, der frisch gestorben ist, dann nimmt er mich mit in die Leichenhalle und zeigt mir den bleichen Erwin oder den dicken alten Bäcker und erzählt mir was aus deren Leben. Danach spazieren wir wieder nach Hause. Mit einem Zwischenstopp am Büdchen für Eis und Flachmann. Und mir ist natürlich vollkommen klar, dass ich der Omma auch nichts von der Leichenhalle erzählen darf.

Ich brauchte lange, um einzusehen, dass man Oma und Opa nicht mit Doppelkonsonanten schreibt. Und ich liebe immer noch Eier im Glas.