Endlich unterwegs
Tag 1 - Anreise
Endlich im Zug. Alles fällt von mir ab. Es geht los. Ich schiebe mich durch die Gänge und suche meinen Platz. Die Reservierungsschildchen sind überall ausgefüllt.
In meinem Abteil sitzen schon drei ältere Damen mit riesigen Koffern, die in der Mitte des Abteils zusammengeschoben sind. Nachdem es ihnen wohl kurz unangenehm war, eine Zuhörerin zu haben, unterhalten sich die drei bald wieder angeregt. Ich entnehme dem Gespräch, dass sie gemeinsam für eine Woche an die Ostsee reisen. Was zur Hölle ist in diesen Monsterkoffern? Für eine Woche! Dankbar schaue ich zu meinem heupferdchengrünen Rucksack in die Gepäckablage hinauf.
Zwanzig Minuten später versuche ich schon, Strategien zu finden, diese Situation fünf Stunden lang auszuhalten. Denn das Gespräch dreht sich ausschließlich um Klagen. Alles ist zu teuer, Franzosen sind alle rücksichtslos, Eltern passen überhaupt nicht mehr auf ihre Kinder auf, diese E-Bikes würden einen ja ständig über den Haufen fahren, wenn man nicht rechtzeitig zur Seite springt. Eine toppt die andere mit noch schlimmeren Zuständen in ihrem privilegierten Luxusleben. Eine Olympiade des Negativen.
Dabei wollte ich doch schonmal ein paar Notizen zu meinem ersten Kapitel machen. Und ein bisschen lesen, nachdenken, runterkommen.
Glücklicherweise springt - nicht zum ersten Mal – das Universum für mich in die Bresche. Die Zugbegleiterin kommt, checkt meine Fahrkarte und fragt mich: „Haben Sie viel Gepäck?“ Ich deute stumm zum Heupferdchen hinauf. „Ich würde Sie gerne wo anders hin verfrachten, hier steigen gleich noch zwei ein.“ Gerettet! Danke!
Ich lande in einem Großraumwagen vor dem Bistro. Hier bin ich so gut wie allein. Aufatmen, zurücklehnen, mich daran gewöhnen, dass es soweit ist. Ich bin unterwegs.
Das Tolle am Zugfahren ist ja, dass man das Nichtstun überhaupt nicht merkt. Gehirn ableinen und aus dem Fenster gucken. In Kleingartenanlagen blühen Obstbäume, auf plastikbedeckten Monokulturen wird Spargel geerntet.
Ich zücke mein Notizbuch und denke über Jakob nach. Jakob ist mein Protagonist des ersten Kapitels. Ein Junge von 16 Jahren. Ein besonderer Junge. Ich überlege, was genau er tun wird, in diesem Kapitel. Er beobachtet gern Leute. Was wird er sehen? Und vor allem: Wie wird sein erstes Aufeinandertreffen mit Franzi verlaufen?
Ein Bild entsteht in meinem Kopf, in dem eine Sandsteinmauer, ein Walnussbaum und ein kleiner Kater die Szenerie für eine besondere Begegnung abgeben. Das gefällt mir alles gut. Ich schreibe verwackelte Stichworte in mein Notizbuch. Der Zug gleitet durch den Vorfrühling. Hamburg liegt schon hinter mir.
Tatsächlich gehen die fünf Stunden unerwartet schnell um. Ich steige in Ribnitz aus dem IC. Eine halbe Stunde später betrete ich in Ahrenshoop mein winziges Zimmer, das im Türmchen eines historischen weißen Holzgebäudes untergebracht ist. Aus dem Fenster sehe ich die Ostsee.
Das Einrichten dauert fünf Minuten. Sachen in den Schrank, Notebook auf das winzige Tischchen. Ja, hier kann ich arbeiten. Auch wenn ich mich kaum um mich selbst drehen kann.
Ich bin müde. Und brauche Luft. Laufe hinaus in den leichten Seewind, gehe vielleicht 50 Meter bis zur Düne, steige eine sandige Holztreppe hinauf und dann liegt es direkt vor mir - das Meer. Ein Sandspaziergang am fast leeren Strand, Wellenrauschen und alles in mir wundert sich, wo ich jetzt auf einmal hingeraten bin. Ich bin noch nicht angekommen. Noch auf Stress und To-Dos gepolt. Das wird ein bisschen dauern.
Bis zum Wellenbrecher gehe ich und biege dann zurück in den Ort ein. Ahrenshoop ist natürlich sehr touristisch. Aber ich brauche etwas Infrastruktur für meine Schreibferien. Und ruhig ist es hier allemal.
Um halb sieben setze ich mich an meinen ersten Blogtag. Morgen geht es dann richtig los. Ich bin so gespannt.