Stoner - von John Williams

Eindringlich still und voller Ich-Empfinden

Ich bin auf dieses Buch aufmerksam geworden, weil es erst über 40 Jahre nach seiner Veröffentlichung zum Erfolg wurde. Das hat mich seltsam berührt – ein Gefühl, welches sich beim Lesen fortsetzte. 

Tatsächlich ist Stoner für mich eins der besten Bücher, die ich je gelesen habe. Alles an diesem Roman ist unaufdringlich und intensiv: Die Sprache, die Handlung, der Protagonist. 

Diese Lebensgeschichte eines Literaturprofessors steigert beim Lesen unmerklich das Ich-Empfinden. Sie vermittelt eine zurückhaltende Sanftheit, die fast – aber nur fast – an Demut grenzt. 

Die meisten positiven Literaturkritiken für Stoner stellen - und dem schließe ich mich uneingeschränkt an - die Menschlichkeit in den Mittelpunkt. Menschlichkeit in dem Sinne, dass wir alle in unserem Leben nach dem Besonderen streben. Wir wollen etwas erreichen, jemand sein, Glück finden, vielleicht auch Macht, Einfluss, Geltung, Glanz. William Stoner findet dies alles nicht. 

Vielleicht lieben wir ihn deshalb so. Denn er steht für die vielen Momente in unserem Leben, in denen wir nicht glänzen, nichts gewinnen, es nur halb schaffen, nicht glücklich, aber auch nicht unglücklich sind. Wir verstehen ihn, begleiten ihn, er tut uns ein bisschen leid, aber eigentlich ist er wunderbar.

Andererseits würde ich vielen Rezensionen oder Beschreibungen von Stoner widersprechen. Da steht etwas von einer Geschichte des Scheiterns, von lebenslanger Niederlage. Tatsächlich aber scheitert Stoner nicht. Er schafft es nur nicht, das zu bedienen, was sich der westliche Mensch unter Erfolg vorstellt. Mit seiner eigenen Seele geht Stoner im Gegensatz dazu ganz vortrefflich um. Er bleibt sich treu, er ist sich selbst und anderen gegenüber ehrlich und zieht das stoisch durch. Das schaffen nur die wenigsten Menschen, egal wie viel sie im herkömmlichen Sinne erreichen. 

Wenn man die Bewertungen in den großen Verkaufsportalen liest, findet man viele, die das Buch als langweilig beschreiben und nach all dem „Hype“ um Stoner enttäuscht sind. Mich wundert das nicht. Man muss es lesen können. Es reißt einen nicht in eine krass spannende Handlung hinein oder gar aus der Realität heraus. Und doch ist es, wenn man sich darauf einlässt, sich von Stoner berühren zu lassen, ein absoluter Pageturner. 

Wer Sprache liebt, wird Stoner lieben. Und wer Stoner liebt, wird das Menschliche in sich lieben. Ich könnte mir vorstellen, dass genau dies die Absicht von John Williams war: Den Lesern zu zeigen, wie man das Menschliche in sich lieben kann. 

Und by the way: Dieses Buch hat – im literarischen Sinne - den sensationellsten letzten Satz aller Bücher, die ich kenne.
 

John Williams
Stoner
dtv
ISBN 978-3-423-14395-0