Tag 13 – Esther und die Elemente

Heute Morgen gehe ich Hühnergötter suchen. Das bedeutet: Sehr langsames, meditatives Gehen über den Strand und dabei den Blick auf das riesige Wimmelbild aus Feuersteinen vor meinen Füßen richten.

Wasser, Felsen, Kreide. Und Holz von längst umgestürzten Bäumen, das vom Salzwasser samtig glatt geschliffen wurde. Die Nähe zu den Elementen ist wohltuend.

Ich habe einige Steine mit schönen Löchern darin gefunden, aber sie waren viel zu groß und schwer, um sie im Rucksack nach Hause zu transportieren. Trotzdem war das ein schöner Spaziergang. Und finden tut man dabei ja immer etwas. Ruhe zum Beispiel. Selbstvergessene Seelenruhe. 

Auf dem Rückweg nehme ich wieder Brötchen vom Bäcker mit. Ich entwickle, wie in Ahrenshoop, liebe Gewohnheiten. Beim Frühstück empfinde ich endlich den Blick auf das Meer als spektakulär. Puh! Hat ja dann doch noch geklappt mit dem gerne Hiersein. 


Heute schreibe ich das eingeschobene Kapitel aus Sicht von Jakobs Oma. Eine coole alte Dame. Dieses Kapitel verbindet die gesamte Geschichte und verankert sie in der Vergangenheit. Der Loop schließt sich, Jakob bekommt Wurzeln und die Leser:innen eine Ahnung, warum er so ist, wie er ist.

Mir ist seltsam zumute. Mein Roman ist organisch geworden und zu etwas Großem herangewachsen. Er hat von Ahrenshoop (wie lange mir das schon wieder her erscheint) über das Artquartier bis hierher nach Rügen ein Eigenleben entwickelt. Wo vorher ein Nichts war, steht jetzt eine Geschichte mit Orten, Personen, Geschehnissen und Gefühlen. Als wäre sie wirklich passiert. 

Das ist das Großartige am Schreiben: Man erschafft Welten! 

Einen Tag habe ich noch. Einen Tag, um das Ganze mit einem würdigen Finale zu versehen. Das ist womöglich ein noch größerer Brocken, als den Anfang zu finden. 

Für heute bin ich erstmal froh über mein gelungenes Kapitel. Feierabend. 

Ich mache mich nochmal zum Hafen auf, um an den schwimmenden, schwankenden Imbissbooten, mit ihren Verkaufstheken irgendwo in Kniehöhe, ein bisschen Fisch fürs Abendessen zu kaufen. 

Eigentlich wollte ich noch die, mit fast anderhalb Kilometern, "längste Außenmole Europas" bis zum Leuchtturm entlanggehen. Aber auf der Hälfte kehre ich um, denn dieser endlos erscheinende, unnatürliche Betonweg ist, ehrlich gesagt, ziemlich ernüchternd. Da beobachte ich lieber die Möwen. Aber heute sind fast gar keine Touristen da, denen sie den Matjes aus dem Brötchen klauen könnten.