Was mich inspiriert

Zeit zum Nachdenken ist ein Privileg

"Bettkaffee" ist eins meiner geliebten Sonntagsrituale. Früher Morgen, draußen alles still. Mein Kopf noch ganz frei und aufnahmebereit. Ich hole mir einen Kaffee ins Bett und lese in aller Muße ein Buch. 

Im Winter ist es einfach zu kalt dafür. Aber jetzt haben wir keinen Nachtfrost mehr, draußen blüht schon die Kornelkirsche und die Vögel beginnen zu singen. Ich muss es ausprobieren. Mit einer warmen Fleecejacke geht es. 

Für den Bettkaffee spare ich mir besondere Bücher auf. Solche, die ich nicht zu meiner Unterhaltung wegkonsumiere, sondern die ich bewusst Satz für Satz, mit einem Bleistift in der Hand lesen möchte. Mit aller Muße zwischendurch innezuhalten und nachzudenken. 

Ein unglaubliches Privileg, während anderswo Menschen in Trümmern leben. Ich bin mir darüber bewusst. 

Heute lese ich "Gegen die Ohnmacht", geschrieben von Luisa Neubauer und ihrer Großmutter Dagmar Reemtsma. 

Ich hatte einen aufwieglerischen Stoff erwartet, auch Generationenschelte - nach dem denkwürdigen Gespräch zwischen Luisa Neubauer und Bernd Ulrich. Aber was ich lese, ist einfach nur - überraschend sanft, liebevoll und klar. Jedenfalls die ersten Kapitel, denn weiter bin ich noch nicht. Ich fühle mich entführt in zwei Welten, zwei Jugenden, die unterschiedlicher kaum sein können und doch erstaunliche Parallelen und intensive Berührungspunkte aufweisen.

Selten habe ich ein Buch gelesen, das so viel Respekt und Ernsthaftigkeit gegenüber den Alten an den Tag legt, sie nicht aus einer Hilfsbedürftigkeit, sondern einer gelebten Biografie heraus betrachtet.

Und ich wünschte mir, alle würden sich mal die wichtige Zeit und Muße nehmen, ihre eigene Jugend, ihr Werden, ihr Lernen, ihr Verstehen der Welt, mit dem ihrer Großeltern zu vergleichen. 

Ich glaube, dies wäre ein enorm wichtiger Schritt, zu verstehen, wie wir dorthin geraten sind, wo wir jetzt stehen. Im Privaten, im Persönlichen, aber auch im Politischen, im Weltgeschehen. 

Ich möchte eine Stelle zitieren, die Erinnerungen an wunderschöne Kindheitstage der beiden Autorinnen auf den Punkt bringt: 

"Auffällig aber ist, dass während ihrer und meiner Kindheit ein enormer Aufwand betrieben wurde, um die Wirklichkeit von uns fernzuhalten." 

Der Raum zwischen den Genarationen ist eine unerschöpfliche Quelle für Inspiration. Wenn wir nicht wissen, wo wir hingehen, dann sollten wir wenigstens wissen, woher wir kommen. So können wir uns orientieren. 

Bei Regen in einem Teich schwimmen

George Saunders
"Bei Regen in einem Teich schwimmen"

Von den russischen Meistern Lesen, Schreiben und Leben lernen.

Luchterhand 2022
ISBN 978-3-630-87697-9

George Saunders versteht es, eindringlich und unterhaltsam, die Kunst des kreativen Schreibens zu vermitteln. Dieses Buch hat mich regelrecht nach vorne katapultiert.