Tag 10 – Von Starkow nach Sassnitz

Heute bin ich in mehrerer Hinsicht eher gestrandet, als angekommen. Ich hatte schon Lust, weiterzufahren, aber ich ahnte, dass das ein harter Schnitt wird. So etwas Zuhausiges wie das Artquartier gegen eine Touristenhochburg zu tauschen, erfordert schon einiges an seelischer Anpassungsakrobatik. 

Eine Regionalbahn brachte mich ganz problemlos in einer guten Stunde von Velgast nach Sassnitz. Es gab einiges Gechecke, weil ich in der Nähe des Bahnhofs mitsamt meinem vollbepackten Rucksack einkaufen und dann zu Fuß ca. 20 Minuten zu meinem Domizil gehen musste, das ich aber eigentlich erst anderthalb Stunden später hätte beziehen können. 

Zum Glück konnte ich direkt in meine Wohnung. Ein krasser Gegensatz: Von dem künstlerischen Nest mit Mut zur Lücke bei Anne in eine vollkommen unpersönlich möblierte Bude mit allen Schikanen. Direkt nach meinem Eintreffen erreichten mich Nachrichten von Zuhause, die in mir dieses krass entfremdete Gefühl verstärkten: Was soll ich hier eigentlich? 

Da stand ich dann an dem Schreibort, auf den ich mich am meisten gefreut hatte, mitten im historischen Villenviertel von Sassnitz auf einem wunderschönen, geschnitzten Balkon und wäre am liebsten sofort wieder abgereist. 

Da ist sie also, die Überforderung. Zehn Tage in einer maximalkonzentrierten geistigen Parallelwelt, drei Mal an vollkommen fremden Orten angekommen, mit fremden Schlüsseln Türen aufgeschlossen, mich an fremde Gerüche gewöhnt, meine vier T-Shirts in fremde Kleiderschränke gelegt und aus fremden Fenstern fremde Orte angeschaut.

Um irgendwie anzukommen, schnappe ich mir meine Jacke und gehe (noch ein Schlüssel zu einem fremden Törchen) den Privatweg zur Promenade hinunter. Von dort aus auf den Kiesstrand unter die  Kreidefelsen. Verbinde mich, über dicke Steine balancierend und auf Feuersteinen knirschend, mit diesem Stück Erde.  Das Universum hat mir einen dicken, starken Felsen auf das Ufer gelegt, auf dem ich gut sitzen und nachdenken kann. 

Einige entspannte Möwen landen in meiner Nähe und schauen mich freundlich an. Ich vermisse die Gegenwart von Tieren.